Montag, 19. Dezember 2011

Neulich auf dem Physio-Schragen...

Es war der Tag, als es zu schneien begann. Endlich leerte Frau Holle ihre Daunenkissen und brachte den lang ersehnten Winter nach St.Gallen. Klirrende Kälte. Der perfekte Pfarrer-Sonntag (Dienstag), um dem Säntispark einen Besuch abzustatten (für Nicht-Sanggaller: das ist ein Wellness-Bad). In der heissen Aussentherme mit Blick auf den stolzen Hausberg Säntis, freute ich mich auf die Massage, die meinen Hexenschuss endgültig wieder hinbiegen sollte.

Ich: "Ich hatte einen Hexenschuss kürzlich, hier so rechts neben der Wirbelsäule."


Er (jung, vielleicht 18): "Was arbeiten Sie denn?"


Ich: "Hmmmm... ääääh... als Pfarrerin."


Er: "Was?? Also so die in der Kirche?"


Ich: "Ja, die so in der Kirche."


Er: "Echt jetzt? Ist ja kraaaass! Ich hatte noch nie eine Pfarrerin auf dem Schragen! Wow!!"


Ich: "-"


Er: "Ja dann glauben Sie an das, was in der Bibel steht?"


Ich: "Naja, an alles, was in der Bibel steht, glaube ich nicht. Aber an Gott, ja, glaube ich."


Er: "Ist das ein Unterschied?"


Ich: "Schon, ja. In der Bibel steht auch Mist. Da geht's teilweise gewalttätig zu und her. Das finde ich nicht gut."


Er: "Ah echt? Sind Sie so eine kritische Pfarrerin?"


Ich: "Kritisch sollte man auf jeden Fall immer sein. Wie sonst soll man als Pfarrerin mit den Leuten reden und sich auf die Gegenwart einlassen können?"


Er: "Ich glaube nicht so fest an Gott, aber ein bisschen was stimmt ja vielleicht, eine höhere Macht oder so. Wenn ich das meinen Kollegen sage, dann halten sie mich für verrückt. Ich gehe nicht in die Kirche. Aber in der Bibel stehen schon gute Sachen. Also zum Beispiel die Geschichte mit dem Blinden, der wieder sieht, das ist ja nicht wörtlich gemeint, also dass der WIRKLICH wieder sehen kann. Halt mehr so im übertragenen Sinn, dass ihm ein Licht aufgeht, dass er etwas versteht."


Ich: "Wollen Sie nächsten Sonntag für mich predigen?"


Er: "Ich kann nicht so gut vor Leuten sprechen."


Ich: "-"


Er: "-"


Er: "Was halten Sie eigentlich vom Islam?"


Ich: "Öööööh.... ist eine Religion wie das Christentum. Wir stehen uns sogar sehr nahe. Für den Islam sind das Christentum und das Judentum Teil ihrer eigenen Religionsgeschichte."


Er: "Aber die sind doch voll krass, voll gewalttätig und so, also was da im Koran steht."


Ich: "In der Bibel steht zum Beispiel: Ihr sollt alle Völker um euch herum vernichten! Auch nicht grad friedvoll, oder?"


Er: "Echt, das steht in der Bibel?"


Ich: "Ja, wortwörtlich. Deshalb sag ich ja, man sollte nicht jedes Wort in der Bibel glauben. Dasselbe gilt für den Koran. Die Mehrheit der christlichen und muslimischen Menschen sind aber friedvoll und tolerant. Extremisten gibt es leider überall. Sie verdrehen die Religion."


Er: "Mich stört einfach, dass die uns in der Schweiz mit ihren Minaretten den Raum wegnehmen. Es ist eh schon eng genug."


Ich: "So ein Minarett ist nicht besonders breit. Das ist eine Art Ansatz der Moschee, wie ein schmaler Kirchturm."


Er: "Ja aber die Moschee nimmt ja auch Platz weg. Da dürfen Nicht-Muslime nicht mal rein! Das stört mich total, dass es in der Schweiz solche Räume gibt, wo es uns verboten ist, reinzugehen. Wie fremdes Land im eigenen."


Ich: "Erstens Mal ist das totaler Schwachsinn! Natürlich darf man in die Moschee! Ich war gerade vor zwei Wochen in der bosnischen Moschee in St.Gallen. Ich war auch schon in Moscheen in London und in Frankreich. Die Muslime zeigen Ihnen sehr gerne ihre Gebetsräume. Schreiben Sie das mit und sagen Sie es allen Ihren Kollegen! Dass man als Nicht-Muslim nicht in die Moschee darf, ist absoluter Nonsense."


Er: "Aha..."


Ich: "Zweitens: Haben Sie sich schon mal beim Schweizerischen Geheimdienst beschwert, dass Sie da nicht einfach reinlaufen können? Oder bei der Goldkammer der Schweizer Nationalbank? Oder bei den Freimaurern?"


Pfarrerin auf Massage-Schragen sollte kostenlos sein.